Donnerstag, 31. März 2016

Einfach mal abwarten: SZ 1.4.2016 (kein Aprilscherz)

Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:
Wissen, 01.04.2016

Medizin

Einfach mal abwarten
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Von Werner Bartens

Innehalten, Abstand gewinnen, sich besinnen und das eigene Tun überdenken. Das täte vielen Menschen im Beruf gut. Diese Empfehlung gilt auch für Ärzte, die längst nicht immer wissen, was zuverlässig hilft. Was als unmittelbarer Nutzen einer Therapie angesehen wird, beruht manchmal lediglich auf Zufall oder dem natürlichen Genesungsverlauf. David Casarett von der University of Pennsylvania ruft daher im New England Journal of Medicine von dieser Woche seine ärztlichen Kollegen dazu auf, nicht der "Illusion der Kontrolle" zu erliegen und leichtfertig den Nutzen angebotener Therapien zu überschätzen (Bd. 374, S. 1203, 2016).

"Der Glaube vieler Ärzte, dass ihre Handlungen wirksamer sind, als sich beweisen lässt, führt zu zahlreichen unnötigen und teuren Therapien", sagt Casarett. "Man muss diese Illusion zerstören, um zu rationaleren Entscheidungen in der Medizin zu kommen." Es sei zwar zutiefst menschlich, die Auswirkungen des eigenen Handelns zu überschätzen, führt der Arzt aus. Das Phänomen sei auch von Spielern bekannt, die sich beim Zocken absurde Rituale angewöhnen und überzeugt sind, damit Glücksspiele beeinflussen zu können.

In der Medizin verhält es sich Casarett zufolge trotz aller Fortschritte ähnlich. Egal, ob bei der Behandlung von Rückenschmerzen oder einer Chemotherapie: Ärzte glauben gerne, ihre Intervention sei der Grund dafür, dass es Patienten besser geht. Eine zufällige Verbesserung der Blutwerte wird als Kausalität missverstanden, auch wenn längst erwiesen ist, dass viele Krankheitsverläufe eine Eigendynamik entwickeln. So rät beispielsweise die US-Gesellschaft für Orthopädie von der Gelenkspiegelung und -spülung des Knies bei Arthrose ab. Trotzdem ist die Methode - auch in Deutschland - weit verbreitet; bis zu 80 Prozent der Eingriffe gelten als überflüssig. Beschwerden im Knie kommen und gehen, doch eine Symptomlinderung nach dem Eingriff schreiben viele Ärzte ursächlich der Intervention zu.

Man fühlt sich an den Ausspruch erinnert: Operation gelungen, Patient verstorben
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Ähnliches gilt für die Behandlung auf der Intensivstation. Wiederholt haben Studien gezeigt, dass die komplette künstliche Ernährung in den ersten sieben Tagen nicht zu empfehlen ist. Der Körper erholt sich offenbar besser, wenn er auf eigene Reserven zurückgreift. Trotzdem wird die Nahrungszufuhr über die Vene in vielen Kliniken praktiziert. Dem Patienten kommt das zwar meist nicht zugute, für den "Erfolg" der Behandlung halten dann Ersatzkriterien her, etwa ein ausgewogenerer Elektrolythaushalt, der Volumenstatus oder die Konzentration an Prä-Albumin. Man fühlt sich an den Ausspruch erinnert: Operation gelungen, Patient verstorben.

"Das wahrhaft segensreiche Arsenal der Medizin gekonnt und mit Augenmaß einzusetzen und einzufordern, wird zu einer immer größeren Herausforderung angesichts von Kommerz und irrealen Versprechungen", sagt der Bremer Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke. "Ein Beleg hierfür ist auch die Schwierigkeit, mit der die Palliativmedizin immer noch um ihren Platz im Versorgungsalltag ringt." Aber auch die sanft daherkommende "Alternativmedizin" habe dazu beigetragen, das Leben zu pathologisieren. "Schon Kinder werden daran gewöhnt, dass es für jedes Wehwehchen die passenden Streukügelchen gibt", sagt Schmacke. "Abwarten ist in der Medizin fast ein Fremdwort geworden."

Es ist nicht leicht für Ärzte, in der Gemengelage von Helfen-Wollen, der Erwartung der Angehörigen, finanziellen Anreizen und der Angst vor rechtlichen Konsequenzen, auseinanderzuhalten, was auf Kausalität beruht, was auf Zufall, was wahrscheinlich ist und was unwahrscheinlich. Schon im Medizinstudium wird Wert auf intellektuell reizvolle, aber in der Praxis kaum anzutreffende Diagnosen gelegt. Jungen Ärzten muss erst wieder beigebracht werden, dass sie bei Hufgetrappel an Pferde denken sollten, nicht an Zebras. Diesem im Angelsächsischen populären Mediziner-Bonmot entspricht im Deutschen: Häufiges ist häufig, Seltenes ist selten - eine Weisheit, die im ärztlichen Alltag längst nicht so banal ist, wie sie vielleicht klingen mag.

Der Gesundheitswissenschaftler David Klemperer von der Hochschule Regensburg plädiert dafür, populäre medizinische Denkmuster zu hinterfragen: Ist Behandeln tatsächlich immer besser als nicht zu behandeln? Ist Aktivismus besser als Abwarten? "Wir haben da noch was für Sie, ist der typische Satz von Ärzten, wenn sie Patienten eine weitere Therapie anbieten", so Klemperer. Mit der verständlichen ärztlichen Sehnsucht nach Erfolg sei auch die Überzeugung zu erklären, neue Therapien wirkten besser als alte und teure besser als billige. Was viel kostet, müsse schließlich gut sein. "Mehr ist besser als weniger, früher behandeln ist besser als später. Das sind alles intuitive Annahmen, die in vielen Fällen nicht bewiesen sind, aber dazu führen, dass wir Ärzte den Nutzen überbewerten", folgert Klemperer.

Junge Ärzte müssen lernen, dass sie bei Hufgetrappel an Pferde denken, nicht an Zebras
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Casarett plädiert als Antidot gegen Überdiagnostik, Übertherapie und Überschätzung des Erfolgs dafür, sich folgende Denkmuster anzugewöhnen. Erstens: Bevor man als Arzt eine Behandlung für wirksam hält, sollte man sich überlegen, ob es nicht andere Erklärungen für vermeintliche Therapieerfolge geben könnte. Nimmt beispielsweise ein älterer Patient an Gewicht zu, nachdem er eine Ernährungssonde bekommen hat, könnte dies auch daran liegen, dass er sich aufgrund der Krankheit weniger bewegt hat oder eine auszehrende Infektion inzwischen eingedämmt wurde. Zweitens: Sieht ein Arzt Beweise für einen Erfolg, sollte er genauso nach Hinweisen darauf suchen, dass seine Behandlung versagt hat. Um beim Beispiel der Ernährungssonde zu bleiben: Der Patient mag zwar an Gewicht zugenommen haben, gleichzeitig hat er als Komplikation aber vielleicht eine Aspirationspneumonie entwickelt oder leidet jetzt an einem Dekubitus, den bei bettlägerigen Patienten gefürchteten Druckgeschwüren.

Von vielen Ärzten - und in vielen Studien - wird vorab festgelegt, nach welchen Kriterien der Nutzen einer Behandlung zu bemessen ist. Wird beispielsweise als Erfolg einer Chemotherapie die verringerte Konzentration der Tumormarker im Blut und das progressionsfreie Intervall gewählt, also die Zeit, in der sich der Krebs nicht weiter ausbreitet, lassen sich womöglich beachtliche statistische Verbesserungen beobachten. Dies muss allerdings nicht damit einhergehen, dass der Patient mit der Behandlung besser oder gar länger lebt.

"Alle Menschen unterliegen KontrollIllusionen, und wir Ärzte sind empfänglich für die therapeutische Illusion", sagt David Casarett. Gegen Übertherapien, wie unnötige Behandlungen in der Medizin genannt werden, könne die Kampagne "Choosing Wisely" hilfreich sein. Auch der Internistenkongress, der Ende kommender Woche in Mannheim beginnt, hat diese Idee unter dem Motto "Klug entscheiden in der Inneren Medizin" auf die Agenda gesetzt. Es geht darum, in jedem einzelnen Fachgebiet die häufigsten überflüssigen Untersuchungen und Behandlungen zu identifizieren und die Patienten davor zu schützen. Schließlich warnt längst auch der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen: Eine der größten Gefahren für die Patienten bestehe in unnötiger oder übertriebener Medizin.


Dr. med. Werner Bartens 

Donnerstag, 24. März 2016

Über den Zusammenhang von Armut und Krankheit. Veranstaltung 14. April

Link

Vortrag meines geschätzten Kollegen Prof. Dr. Gerhard Trabert

Veranstaltungsort:
Krankenhaus Barmherzige Brüder, Großer Hörsaal, Haus St. Vinzenz, dritter Stock


Beginn: 14.04.2016, 18.00 Uhr

Barmherzige Brüder






Alle Interessierten sind eingeladen. Keine Anmeldung erforderlich.

Menschen, die keine Krankenversicherung haben

Gerhard Trabert Blog 14.3.2016
"Heute möchte ich auf eine neue Homepage aufmerksam machen, die wir vor einem Tag auf dem Kongress Armut und Gesundheit in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Sie ist für Menschen gedacht, die keine Krankenversicherung haben, denen man Schwierigkeiten macht in einer Krankenversicherung aufgenommen zu werden, oder die von unserem Gesundheitsversorgungssystem "einfach" nicht aufgefangen werden. Auf dieser Homepage gibt es einen bundesweiten Überblick, welche Vereine, Initiativen, Organisationen Menschen auch ohne Krankenversicherung behandeln und beraten. Bitte teilen und die Info weiter leiten!! Danke!"

Homepage: www.gesundheit-ein-menschenrecht.de

Montag, 21. März 2016

SPIEGEL-Titel über soziale Ungleichheit

Das Schattenreich
Sozialpolitik Die Deutschen sind stolz auf ihren Wohlfahrtsstaat, doch die Kluft
zwischen Arm und Reich wird größer. Wenigen gelingt der Aufstieg aus der
Unterschicht. Eine Studie zeigt: Die Spaltung gefährdet Wachstum und Wohlstand.


Montag, 14. März 2016

Gesundheitsausgaben in Deutschland 2014: 328 Mrd. Euro

8.3.2016
Im Jahr 2014 wurden insgesamt 328 Milliarden Euro für Gesundheit in Deutschland ausgegeben. 
Dies bedeutet einen Anstieg von 13,3 Milliarden Euro oder 4,2 % gegenüber dem Jahr 2013. 
Auf jeden Einwohner entfielen 4050 Euro (2013: 3 902 Euro). Der Anteil der Gesundheitsausgaben. am Bruttoinlandsprodukt lag 2014 bei 11,2 %. Gegenüber dem Jahr 2013 blieb der Wert damit unverändert. Website Statistisches Bundesamt

Gesundheit - Ausgaben - Fachserie 12 Reihe 7.1.1 - 2014: Gesundheitsausgaben in Deutschland nach Ausgabenträgern, Leistungsarten und Einrichtungen. 41 Seiten  Download

Demenz: altersspezifische Inzidenz sinkt in Hocheinkommensländern

Incidence of Dementia over Three Decades in the Framingham Heart Study Abstract

Beitrag im Forum Gesundheitspolitik: Alt, älter, dement???? Neues zur altersspezifischen Inzidenz von Demenz

Gesundheit in Deutschland 2015

Wann immer Sie Informationen und Daten über die Gesundheit in Deutschland benötigen – dieser Bericht sollte Ausgangspunkt sein.
"Der Bericht „Gesundheit in Deutschland“ gibt in elf Kapiteln einen umfassenden und fundierten Überblick über den aktuellen Stand und die Entwicklung der Gesundheit in der Bevölkerung. Es ist der dritte Bericht dieser Art in der Gesund­heits­bericht­erstattung des Bundes. Im Fokus der Publikation stehen das Krankheitsgeschehen und das Gesundheits- und Risikoverhalten von Kindern, Jugend­lichen und Erwachsenen in Deutschland. Darüber hinaus enthält der Bericht Beiträge zu Angebot und Inan­spruch­nahme der Gesund­heits­versorgung und Prävention sowie zu den Kosten des Gesundheitswesens.
Die Grundlage des Berichts bilden in erster Linie Daten des Gesundheits­monitorings des Robert Koch-Instituts: Die drei Gesundheitsstudien KiGGSDEGS und GEDA ermöglichen repräsentative Aussagen zur gesundheitlichen Lage der Bevölkerung. Daneben wurden ebenfalls belastbare und qualitäts­gesicherte Daten und Ergebnisse anderer epidemiologischer Studien sowie amtlicher Statistiken genutzt."

Verteilungskampf: Warum Deutschland immer ungleicher wird

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-Universität Berlin, hat ein Buch über die soziale Ungleichheit in Deutschland geschrieben, das heute veröffentlicht wurde. 
Dazu ein Beitrag aus der Süddeutschen Zeitung. Link