Dienstag, 5. Juli 2016

Krankheiten besiegen? Die Perspektive einer Chemikerin

Zum Thema Modelle von Krankheit und Gesundheit 

In einer Beilage zur ZEIT in der vergangenen Woche antwortet eine Wissenschaftlerin auf die Frage:
"Werden wir die schweren Krankheiten besiegen?"


Dorothea Fiedler, Direktorin am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie und Professorin an der Humboldt-Universität in Berlin. Die Chemikerin erforscht unter anderem, welche Rolle Phosphatverbindungen beim Krebswachstum spielen.

Ich bin Grundlagenforscherin und arbeite auf Zellniveau. Unser Arbeitsfeld ist im Durchschnitt also nur einen vierzigstel Millimeter groß. Doch auch wenn wir die Zelle in den nächsten 20 Jahren sicher nicht vollends erforscht haben werden - Ich bin sicher, dass wir bis dahin die Rätsel vieler Erkrankungen gelöst haben werden.
Ich träume davon, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft über einen vollständigen Bauplan der menschlichen Zelle mit all ihren Bausteinen verfügen: also eine Karte, auf der alle Moleküle mit ihren Funktionen verzeichnet sind. Ich stelle mir diese wie einen Stadtplan vor, der so genau ist, dass er individuelle Informationen und Bewegungsmuster der Bewohner enthält. Wer wohnt wo, kommuniziert wann mit wem - und warum? 
Erst wenn wir solch einen Plan haben, können wir genau verstehen, was in einer kranken Zelle verkehrt läuft, warum - um im Bild zu bleiben – eine Ampel rot zeigt, aber sich keiner darum schert. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Obwohl wir mittlerweile eine große Anzahl von Zellbausteinen identifiziert haben, sind die Wechselwirkungen dieser Bausteine mit ihrer Umgebung häufig noch unbekannt. Wir untersuchen die einzelnen Zellbausteine mit Hilfe hochauflösender Verfahren. Unser Ziel ist, die Funktionen und Wechselwirkungen auf molekularer Ebene zu beschreiben. Kennen wir diese im einzelnen, können wir anfangen, sie zu beeinflussen, sobald dieses Zusammenspiel gestört ist. Welche Prozesse etwa sind dafür verantwortlich, dass Tumore entstehen und sich Metastasen ansiedeln? Indem wir uns auf die mikroskopisch kleine Welt der Zelle und ihrer Bausteine konzentrieren, gewinnen wir Erkenntnisse über die Ursachen von Krankheiten und können neue Wirkstoffe entwickeln. Ein solcher Plan wäre im Kampf gegen Krebs, Parkinson, Diabetes und andere Erkrankungen also ein riesiger Fortschritt. 

Ein Beispiel aus unserer Forschung: die Übergewichtigkeit. Es gibt in den Zellen eine Gruppe von Botenstoffen, die bei Übergewicht und bei Diabetes 2 eine wichtige Rolle spielen. Mäuse, die ein bestimmtes Enzym zur Herstellung dieser Botenstoffe nicht besitzen, können viel mehr fressen, ohne Fett anzusetzen. Diese Botenstoffe hängen also unmittelbar mit der  Fettleibigkeit zusammen, und ich hoffe, dass wir vielen Übergewichtigen bald helfen können.

Kommentar: Ein Prise Dahlgren-Whitehead (s.a. Lehrbuch Sozialmedizin – Public Health – Gesundheit, 3. Auflage S. 29 ff.) würde der Professorin gut tun.

Sporteinheiten verbessern den Lernerfolg

Meldung im Ärzteblatt Link

Abstract der Studie in Current Biology Link

Sonntag, 3. Juli 2016

Experimentelle Studien / Beobachtungsstudien, Korrelation / Kausalität: aktueller Lesetipp

Im Unterricht (1.04 Einführung in die Gesundheitswissenschaften) haben wir uns mit Beobachtungsstudien (Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien) und randomisierte kontrollierte Studien (RCT) befasst. Dabei haben wir über die Verlässlichkeit, die interne Validität der Studienergebnisse, gesprochen und über die externe Validität, die Verallgemeinerungsfähigkeit. 

Das Fazit lautet, dass die interne Validität methodisch gut durchgeführter RCTs hoch ist und zwar höher als die jeder anderen Studienform, ganz schlicht weil die Störfaktoren, also andere Wirkfaktoren (zB Merkmale, Verhaltensweisen) von vornherein kontrolliert sind. 

In Beobachtungsstudien kann die Vergleichbarkeit der Gruppen erst im Nachhinein herzgestellt werden. Dafür ist vorab zu überlegen, welche Störfaktoren relevant sein könnten, diese sind zu messen und anschließend mit statistischen Methoden "unschädlich" zu machen  – "Störfaktoren kontrollieren", wie es in der Sprache der Epidemiologen und Statistiker heißt.
Klar sollte auch sein: RCTs (und systematische Übersichten von RCTs) sind der Goldstandard für die Wirkungen, die Wirksamkeit, den Nutzen und den Schaden von Interventionen / Behandlungen. Und zwar ganz schlicht, weil sie den fairen Vergleich zweier Methoden/Interventionen/Behandlungen/Beratungsmethoden usw. ermöglichen. Ergebnisse von RCTs können also getrost kausal interpretiert werden während Beobachtungsstudien statistische Zusammenhänge (Korrelationen/Assoziationen) ergeben, die mit Sorgfalt und Zurückhaltung und mit Hilfe der Anhaltspunkte von Hill auf die Wahrscheinlichkeit geprüft werden müssen, ob dieser Zusammenhang kausal sein könnte.


Eine interessante vertiefende Diskussion zu interner und externe Validität wird gerade  im ScienceBlog von Joseph Kuhn. geführt. Darin hat sich auch Jürgen Windeler zu Wort gemeldet, der Leiter des IQWiG (siehe zB Methodenpapier, liest sich wie ein gutes Lehrbuch) und der Wissenschaftsjournalist Christian Weymayr, der sich u.a.mit Studien zur Homöopathie befasst.

Praxisnähe versus methodische Stringenz? Ein Streit zwischen Jürgen Windeler und Harald Walach Link

Freitag, 1. Juli 2016

"Geschenke jeder Art sind abzulehnen"

Arzt und Autor David Klemperer fordert mehr Distanz zwischen Ärzten und Pharma. Transparenz allein genüge nicht.